Von Ruth Vierbuchen. Bis zuletzt hatten die Karstadt-Mitarbeiter für ihr Unternehmen gekämpft. Am Ende wollten Großaktionäre, Banken und Investoren nicht nachlegen, um ihr Engagement bei Arcandor zu erhöhen und so blieb nur noch der Gang zum Insolvenzgericht. Damit endet für den 130 Jahre alten Warenhauskonzern vorläufig ein langer Weg des Abstiegs. Ein Planinsolvenzverfahren in Eigenverwaltung – wie bei Sinn-Leffers – soll jetzt den Neuanfang des Gesamtkonzerns bringen.
Eine „große Herausforderung“ nannte Arcandor-Chef Karl-Gerhard Eick während der Hauptversammlung Mitte März noch die Verhandlungen über die Verlängerung des 650 Mio. Euro-Kredits in diesem Juni, als „mission imposible“ sah er sie nicht. Offenbar sahen die Aktionäre die Lage realistischer, als sie den ehemaligen Telekom- Vorstand angesichts der ernüchternden Zahlen im Jahresabschluss 2007/08 und der Perspektive fragten: „Warum tun Sie sich diesen Job an?“
Bis zu jenem 18. März 2009 hatten die Aktionäre des Warenhaus- Konzerns Karstadt, der heute Arcandor heißt, schon viel mit gemacht: 1997 den Versuch des früheren Aufsichtsratsvorsitzenden Guido Sandler, Vertreter des damaligen Karstadt- Großaktionärs Hertie Stiftung, den Vorstandschef Walter Deuss zu stürzen. Das Unternehmen versank in monatelange Lähmung. Kurze Zeit später den Einstieg des neuen Großaktionärs Schickedanz, den die meisten damals noch als Rettung ansahen. Dann der Abgang des Vorstandsvorsitzenden Deuss, der die Verantwortung dafür übernahm, dass der fusionierte Karstadt-Quelle-Konzern die im Verschmelzungsbericht genannten hohen Ergebniszahlen im Jahr 2000 nicht erreicht hatte. Und der Wechsel zum ehemaligen Kaufhof- und Metro-Manager Wolfgang Urban, über den dessen früherer Aufsichtsratsvorsitzender Erwin Conradi in einem öffentlichen Schlagabtausch sagte, dass er dazu neige, sich zu viel Arbeit aufzuhalsen und dann zu verzetteln.
In den turbulenten Fusionsjahren der Metro, so Conradi während der Hauptversammlung 1998 über seinen früheren Günstling, habe Urban sein bereits gewaltiges Arbeitspensum noch deutlich erhöht. Deshalb habe er ihn aus „Fürsorgepflicht“ in einem Brief gebeten, seine Arbeitsbelastung zu reduzieren und er habe die Aufgabenverteilung im Metro- Vorstand zu Urbans Entlastung verändert. Entsprechende Warnungen hinderten Hans Meinhardt, damals Aufsichtsratschef von Karstadt und Vertrauter der Schickedanz-Familie jedoch nicht, Urban 2000 an die Konzernspitze zu holen.
Der machte sich mit verbissenem Ehrgeiz daran, trotz Konjunkturflaute, die viel zu hoch gesteckten Ergebnisziele des Verschmelzungsberichts doch zu erreichen. Dass er dabei die stillen Reserven des an Immobilien reichen Warenhaus-Konzerns hob, das Geld verbrannte und den Konzern in die roten Zahlen führte, erlebten die Karstadt-Aktionäre mit Schrecken im September 2004. Als dem Branchenfremden Thomas Middelhoff, Vertrauter von Großaktionärin Madeleine Schickdanz, 2005 der Chefsessel übertragen wurde, war Branchenkennern klar, dass er es mit Hilfe einer Strategie des Financial Engineerings, dem Verkauf der Immobilien und der Abgabe verlustbringender Beteiligungen zwar schaffen würde, das Unternehmen auf fragilem Boden für kurze Zeit zu stabilisieren.
Doch dass das Gebilde – wie erwartet – keine nachhaltige Stabilität hatte, erlebten die gebeutelten Karstadt-Aktionäre dann im September 2008, als der Konzern zum ersten Mal um die Verlängerung seiner Kreditlinien bangen musste. Nur der Einstieg von Sal. Oppenheim verhinderte das Schlimmste. Der Verkauf der Immobilien an eine Investorengruppe bescherte Karstadt durch die vereinbarten Mieterhöhungen eine weitere Dauerbelastung. Dass Middelhoff zudem an einem Fonds beteiligt ist, dem 5 Karstadt-Immobilien gehören, für die der Warenhausbetreiber hohe Mieten zahlen muss, rundet das unschöne Bild ab. Im Kern des Karstadt-Problems steht die unprofessionelle Führung durch den Großaktionär Schickedanz, der selbst ein Führungsproblem hat, seit Firmengründer Gustav Schickedanz es versäumte, seine Nachfolge nachhaltig zu regeln. Ein Problem, das bei vielen Familienunternehmen eine existenzielle Rolle spielen kann. Während Wettbewerber Werner Otto eine wirklich mustergültige Nachfolgereglung zustande brachte, als er die Geschäfte des Otto Versands zunächst an den kompetenten Familienfremden Günter Nawrath weiter gab und sich mit der Gründung der ECE neuen Aufgaben widmete, schuf er den Raum für eine reibungslose Nachfolge durch seinen Sohn Michael Otto.
Bei Schickedanz ging die Nachfolge zunächst an die engagierte Ehefrau Grete über, später übernahmen die jeweiligen Ehemänner der Schickedanz-Erbinnen die Führungsposition in der Schickedanz-Holding. Tochter Madeleine Schickedanz, Großaktionärin von Arcandor, hatte keine unternehmerischen Ambitionen. Zwar holte sich die Familie für das operative Quelle-Geschäft namhafte Manager ins Haus, doch mischte sie sich über die Holding immer wieder ins Tagesgeschäft ein, so dass sich die Quelle- Chefs und die Vorstände die Klinke in die Hand gaben. Auch als die Schickedanz-Familie Großaktionärin beim börsennotierten Karstadt- Quelle-Konzern wurde, änderte sich an dieser Einflussnahme nichts Grundlegendes. So wurden Urban und Middelhoff als Chefs eingesetzt.
Und auch der Kauf der Schickedanz- Tochter Sinn-Leffers nutzte nur der Familie, die damit eine kostspielige Sorgentochter los wurde, kostete Karstadt aber sehr viel Geld. Bleibt die drängende Frage, warum der Aufsichtsrat des börsennotierten Konzerns nicht besser kontrollierte und gegen steuerte? Insofern haben die Karstadt-Aktionäre in den vergangenen 10 Jahren den stetigen Niedergang ihres Unternehmens – bis zum Tag des Insolvenzantrags am 9. Juni beim Amtsgericht Essen – miterlebt und waren am 18. März weit weniger optimistisch für die weitere Entwicklung ihres Konzerns und die anstehenden Herausforderungen als Vorstandschef Eick.
Piepenburg sieht gute Chancen, Sanierungsziele zu erreichen
Am Ende eines dramatischen Kampfes um Staatsbürgschaften musste Eick jedoch erkennen, wie schwer es war, das Ruder noch herum zu reißen. Die von der Bundesregierung zu recht geforderte stärkere Beteiligung der Eigentümer Sal. Oppenheim und Schickedanz sowie die Kompromissbereitschaft der Immobilien-Eigentümer bei der Miete, waren offenbar nicht mehr zu erreichen. So sah Eick, das wurde bei der kurzfristigen Pressekonferenz in Essen deutlich, dann nur noch den Ausweg, sich über die Planinsolvenz in Eigenverwaltung von dem Druck zu befreien.
Dass er sich den erfahrenen Düsseldorfer Insolvenzverwalter Horst Piepenburg als Generalbevollmächtigten holte, zeigt, dass es ihm mit der Rettung des Gesamtunternehmens unter den Ausnahmeregeln der Insolvenz sehr ernst ist. Von der Insolvenz betroffen sind die Arcandor AG, die Karstadt Warenhaus GmbH, die Primondo GmbH (Spezialversand) und die Quelle GmbH. Thomas Cook trifft es nicht. Ziel ist es, das im April vorgelegte Sanierungskonzept nun schneller durch zu ziehen. Im Zuge der Insolvenz steht dem Unternehmen Insolvenzgeld von 250 Mio. Euro zur Verfügung. Piepenburg sieht gute Chancen, das Ziel zu erreichen: „Ich übernehme keine aussichtslosen Mandate“, versicherte er. Schon bei der Anhörung vor dem Amtsgericht Essen hätten die Gläubiger signalisiert, dass sie bereit seien, an dem Konzept mit zu arbeiten. Mit Klaus Hubert Görg von der Kölner Sozietät Görg Rechtsanwälte bestimmte das Gericht einen erfahrenen Insolvenzverwalter.
Eine zentrale Rolle wird nun den Immobilieneigentümern zukommen, die über den „Highstreet Fund“ das Gros der Karstadt-Immobilien halten. Der Insolvenzverwalter wird zweifellos über niedrigere Mieten verhandeln wollen. Die Frage ist, ob die Investoren, die 4,5 Mrd. Euro für die Immobilien ausgegeben haben, Spielraum nach unten haben, wenn sie ihre Finanzierung nicht gefährden wollen. Hier könnte es zu einer Zerreißprobe wie bei Hertie kommen. Karstadt zahlt derzeit keine Miete mehr. Derweil bekräftigt der Metro-Konzern sein Interesse an der Übernahme von 60 Karstadt- Filialen. Doch wie es konkret weiter geht, darüber wird der Konzern in der nächsten Zeit kontinuierlich informieren.
gi24/HIR, Nr. 48
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