Von Ruth Vierbuchen, Chefredakteurin „Handelsimmobilien Report“
Einkaufspaläste hinter historischer Fassade wie die Schloss-Arkaden in Braunschweig lösen Diskussionen darüber aus, ob ausgerechnet ein Shopping Center der richtige Mieter für ein historisches Gebäude ist. Großflächige Einkaufszentren wie das am Limbecker Platz, das nach Fertigstellung 70.000 qm Verkaufsfläche haben wird, werfen die Frage auf, ob diese Größenordnung für den Handelsstandort Essen und Umgebung noch verkraftbar ist? Es wird viel gebaut in Deutschland, seit die wohlhabendste Volkswirtschaft Europas im Fokus sowohl internationaler als auch deutscher Investoren steht. Die Mieten in den Metropolen Deutschlands eilen von Rekordwert zu Rekordwert. Die Ausstattung mit Einzelhandelsflächen liegt in einigen Regionen bereits jenseits der Sättigungsgrenze.
Und doch gibt es in Deutschland genügend kleinere Städte, in denen man selbst in einer wohlhabenden Volkswirtschaft wie der deutschen „nicht mehr alles kaufen kann“, wie Dr. Norbert Herrmann, Vorstandschef der GWB Immobilien AG in Siek bei Hamburg festgestellt hat. Auf diese mittleren und kleineren Städte mit 50.000 bis 100.000 Einwohnern (einschließlich Einzugsgebiet), die nach Beobachtung der Maklerunternehmen Comfort und Brockhoff & Partner immer stärker von der guten Konjunktur profitieren, konzentriert sich die GWB und hat eigens dafür mit der GWB MAFO eine Tochter für Markt- und Standortanalysen gegründet. Denn bei dieser Strategie hat die Marktforschung einen hohen Stellenwert. Die im Prime Standard der Frankfurter Börse notierte Immobiliengruppe ist seit 15 Jahren auf die Realisierung von großflächigen Einzelhandelsobjekten wie Shopping Center und Fachmarktzentren sowie die Revitalisierung von Industrie- und Gewerbebrachen spezialisiert – im Nischenmarkt Klein- und Mittelstädte.
Während in den Metropolen der Überfluss verwaltet werden muss, haben laut Herrmann gerade diese Städte große Probleme dabei, ein attraktives Einzelhandelsangebot anzusiedeln. Nicht zuletzt, weil die erforderlichen Flächen fehlen. Und dieses Potenzial ist nicht zu unterschätzen: Etwa 1.323 deutsche Städte hat GWB definiert, in denen die Hamburger noch Potenzial sehen, weil die Kaufkraft vor Ort nicht vollständig in den heimischen Einzelhandel fließt – die Bewohner einen Teil ihres Geldes also in anderen Städten ausgeben, weil es Lücken im Angebot gibt.
Um die fraglichen Städte genauer unter die Lupe zu nehmen, hat GWB ein bundesweites Außendienstnetz mit Büros in Konstanz, Germersheim, Dortmund und in Norddeutschland aufgebaut und stützt sich bei seinen Marktanalysen auf die Kennzahlen von GfK Prisma.
Ausgehend von der Tatsache, dass die Einzelhandelsausgaben in Deutschland im Schnitt bei 5 120 Euro pro Kopf liegen (das entspricht der Kaufkraftkennziffer von 100) untersuchen die GWB-Mitarbeiter, wie hoch der vor Ort tatsächlich realisierte Einzelhandelsumsatz ist. Aus dem Differenzbetrag lässt sich ermitteln, wie viel Kaufkraft der Stadt verloren geht und wie viel zusätzliche Shopping-Center-Fläche sie verkraften kann. Für die Kommunen hat die Bindung der Kaufkraft an die Stadt einen wichtigen stadtplanerischen Aspekt, da sie die Bindung der Bürger an ihre Stadt herstellt.
Des Weiteren untersuchen die GWB-Mitarbeiter den Handelsbesatz der Stadt, die bestehenden Angebotslücken und führen ausführliche Gespräche mit den Kommunen über die Realisierung der Projekte. Laut GWB-Chef Herrmann benötigt man in Deutschland etwa 2 Jahre für die Realisierung eines Neubauprojekts. Dafür sorgt das außerordentlich komplizierte und langwierige Baurecht, das im Umkehrschluss aber auch sicher stellt, dass gute Handelsimmobilien wertbeständig sind, weil nicht ohne weiteres eine neue Immobilie daneben gestellt werden kann. Gegenwärtig hat die GWB-Immobiliengruppe 17 interessante Standorte identifiziert, geeignete Grundstücke gefunden und es laufen bereits Verhandlungen. Zudem werden 88 Standorte geprüft, weil die Hamburger Chancen für den Bau neuer Projekte sehen.
Die GWB hat in den vergangenen 15 Jahren 40 Projekte gebaut, vermietet und verkauft. Derzeit verwaltet sie 30 Einzelhandelsimmobilien. Bei seinen Investments hat sich das Unternehmen klare Grenzen gesetzt: Die Obergrenze des Investitionsvolumens liegt beim 11,5-fachen der geplanten Jahresnettomiete, Voraussetzung für den Baubeginn ist, dass 70% der Fläche vermietet ist. Die Mindest-Brutto-Anfangsrendite (Verhältnis geplante Miete/Investment) wird auf rd. 8% festgelegt.
Zu den Referenzprojekten der Hamburger gehören die knapp 20.000 qm große Postgalerie in Speyer, im ehemaligen Reichspostgebäude, die 2009 fertig sein soll sowie die 15.000 qm große Königspassage in Lübeck als Beispiel für eine Revitalisierung.
In den nächsten beiden Jahren will die GWB etwa 134 Mio. Euro in den Neubau von Einkaufs- und Fachmarktzentren stecken. Aktuell sind 10 Objekte mit 91.000 qm Fläche in Planung, die 2008 bzw. 2009 fertig werden sollen, darunter ein SB-Warenhaus in Buxtehude sowie ein Einkaufszentren in Lübeck. Zudem sollen etwa 112 Mio. Euro in Revitalisierungsobjekte investiert werden. Konkrete Verhandlungen über Projekte laufen schon
„Wir haben noch viel zu tun“,
fasst Hermann mit Blick auf das große Potenzial zusammen, das er in Deutschland noch sieht. Und dabei fühlt sich der GWB-Chef in seiner Nische als Mittelständler, selbst mit Blick auf die große ausländische Konkurrenz, recht sicher. Investments in Handelsimmobilien erfordern genaue Kenntnis des schwierigen deutschen Handelsmarktes mit seinen Playern, Konzepten und Perspektiven, weiß der ehemalige Handelsmanager aus Erfahrung, und genauso über die komplizierten baurechtlichen Genehmigungsverfahren hierzulande. Hier liegt der Vorteil der Mittelständler, die näher am Markt sind. Spätestens ab 2009 sieht Herrmann noch weitere Chancen, wenn so manche scharf kalkulierte Portfolios, die 2006/07 teuer eingekauft wurden, zu günstigeren Preisen auf den Markt kommen.
Quelle: HIR, Nr. 24, 20.06.2008
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