Vorbild mittelständische Kaufhäuser – Ganz nah am Markt

Von Ruth Vierbuchen. Die Insolvenz von Hertie, die angespannte Lage bei Karstadt und der geplante Verkauf von Galeria Kaufhof, die der Mutter-Konzern Metro nicht mehr zum Kerngeschäft zählt, geben der Diskussion um die Zukunftsfähigkeit der Kauf- und Warenhäuser immer wieder neue Nahrung.

In den etwa 130 Jahren ihrer Existenz galten die innerstädtischen Großanbieter lange Zeit als die Flaggschiffe des Einzelhandels, weil sie das volle Sortiment in großzügiger Shopping-Atmosphäre boten.

Doch der sich beschleunigende Strukturwandel und die Atomisierung des Konsums in immer kleinere Marktsegmente bei explosionsartig wachsenden Sortimenten nagen gerade an dieser Vertriebsform – vor allem an den kleineren Filialen in kleineren Städten. Sie können nicht mehr alles bieten und die schwierige – oft ungelöste – Frage ist: Welches ist das richtige Sortiment für die relativ teuren innerstädtischen Standorte?

Genau deshalb hatte der Kaufhof im Laufe der Zeit immer wieder insbesondere kleinere Filialen aussortiert, die nicht mehr wettbewerbsfähig waren und der frühere Arcandor-Chef Thomas Middelhoff 2005 die kleinen Karstadt- Kompakthäuser an die britische Dawnay Day veräußert, in der Hoffnung, dass die es besser könnten. Die inzwischen in Hertie umbenannte Kette meldete im Sommer 2008 bekanntlich Insolvenz an. Beispiele aus dem mittelständischen Kaufhaus-Bereich zeigen aus Sicht von Joachim Stumpf, Geschäftsführer der BBE Handelsberatung in München jedoch, dass Kaufhäuser auch heute noch und auch in kleineren Städten, erfolgreich wirtschaften können, wenn die Voraussetzungen stimmen. Dazu gehört z.B. die Kaufhaus Rid GmbH im bayerischen Weilheim.

„Positionierung durch opportunistische Sortiments-Anpassung an den Regionalmarkt“, beschreibt Stumpf das Erfolgsmodell.

Das Wachstum sichert sich Rid u.a. durch die Erweiterung seiner Filiale in Penzberg und Eröffnung einer neuen Filiale 2008 in Bad Tölz. Das Familienunternehmen war 1840 von Ludwig Rid – zunächst als Weberei für Loden und Leinen – gegründet worden und wird heute in der sechsten Generation von Florian Lipp geführt. Den Einstieg ins Kaufhausgeschäft vollzog Ludwigs Rids Enkel Cajetan Rid 1919 mit dem Kauf eines Geschäftshauses in Weilheims Top-Lage Schmiedstraße. Neben dem Stammhaus in Weilheim und den 1966 in Penzberg und 2008 in Bad Tölz eröffneten Filialen kann sich Rid-Inhaber Lipp mittelfristig noch den Aufbau einer 4. Filiale vorstellen. Den massiven Strukturwandel im Handel hat auch das Kaufhaus Rid in seiner wechselvollen Geschichte durchlebt und offenbar mit Erfolg bewältigt. 1923 erzielte das Unternehmen, so heißt es in der Unternehmenschronik, Rekordumsätze von 1 230 Mrd. Mark täglich. Auf Grund der galoppierenden Inflation reichte das Geld wenige Tage später jedoch nur noch, um eine Semmel zu kaufen.

„Vor 40 Jahren hatte das Kaufhaus in Penzberg auf 250 qm ein Vollsortiment“, erinnert sich Inhaber Lipp. „Wir hatten alles und wir waren ein kompetenter Anbieter.“

Heute reichen die 250 qm nicht annähernd aus, um ein umfangreiches Sortiment zu bieten. Selbst die Karstadt- und Kaufhof-Warenhäuser mit ihren Zig-Tausend qm Verkaufsflächen sind seit den 1980er-Jahren nicht groß genug, das gesamte Konsumgütersortiment anzubieten und verlegen sich deshalb auf Teilsegmente.

Das Kaufhaus Rid konzentrierte sich im Zuge des Strukturwandels – neben dem täglichen Kleinkram von A wie Aktenordner bis Z wie Zitruspresse – heute schwerpunktmäßig auf den modischen Bereich mit namhaften Marken. „Bei unserer Unternehmensgröße ist es wichtig, sich mit einem möglichst kompetenten Sortiment zu präsentieren“, so der Familienunternehmer. Basis der Sortimentswahl sind gründliche Standortanalysen. „Wir schauen uns die Wettbewerbsposition vor Ort genau an und prüfen, wo die Lücken im örtlichen Sortiment sind.“ Hier sieht Lipp durchaus die Vorteile des Vertriebstyps Kaufhaus gegenüber dem Anbieter mit festgelegtem Segment: „Die Kaufhaus- Betreiber können mit flexibler Schwerpunktsetzung reagieren.“

Die regionale Orientierung und Ausrichtung seiner Häuser, die individuelle und standortspezifische Führung sieht Lipp als wichtige Basis seines Erfolgs:

„Bei der Sortimentsgestaltung und der Anpassung an die Kundenwünsche ist bei uns ständig alles im Fluss. Darüber wird ständig geredet.“ Das beurteilt auch BBE-Geschäftsführer Stumpf so. „Für den Erfolg einzig und allein ausschlaggebend ist neben der obligatorischen Unternehmerkompetenz vor allem die klare Positionierung und Profilierung im Regionalmarkt“.

Zumal das Wegsterben des Facheinzelhandels immer wieder neue Sortimentslücken in den Innenstädten entstehen lässt und gerade für die Kaufhäuser neue Chancen eröffnet. Dabei kann die Schwerpunktsetzung je nach Unternehmen und Standort sehr unterschiedlich ausfallen. Das Standard-Kaufhaus-Sortiment gibt es nicht. Die Wolfsburger WKS Kaufhaus GmbH etwa konzentriert sich – neben einem Grundsortiment aus Mode, Uhren, Schmuck, Lederwaren/Reisegepäck, Strümpfe, Heimtextilien und Schreibwaren – auf die Kombination aus Wäsche und Spielwaren. Dass alles schnelllebiger und instabiler geworden ist, spüren auch die Weilheimer. Wichtig ist für Lip deshalb, dass die Größe seiner Kette so überschaubar bleibt, dass er sich regelmäßig persönlich vor Ort darum kümmern und die Kontakte zu den Bürgermeistern halten kann. Und auch beim Investitionsstandard will er auf der Höhe der Zeit bleiben. Alle 5 Jahre werden die Immobilien renoviert.

Das Haus in Weilheim war 1985 abgerissen und mehr als doppelt so groß neu aufgebaut worden. Den wesentlichen Unterschied des Mittelstands zum zentral aufgestellten Warenhaus- Konzern macht auch der Personaleinsatz:

„Wir haben für unser Haus den Anspruch, viel Personal einzusetzen. Wir haben bisher damit auch richtig gelegen“, so Lipp. Das Urteil, ob diese Politik grundsätzlich richtig sei, will er sich nicht anmaßen. „Aber in der Kleinstadt geht es gar nicht anders.“ Die mangelnde oder mäßige Bedienung, die manche Warenhäuser in großen Städten oder Filialketten ihren Kunden zumuten, „das könnten wir uns in der Kleinstadt nicht leisten“, stellt Lipp nüchtern fest. Wichtig ist zweifellos der persönliche Kundenbezug. Der Erfolg dieser standortspezifischen, mittelständischen Kaufhausstrategie legt die Vermutung nahe, dass bei Kaufhäusern „vor allem eine zu starke Standardisierung“ vermieden werden sollte, wie Lipp feststellt, da sie der opportunistischen Anpassung an die lokalen Gegebenheiten im Wege steht.

Bei Rid beginnt das schon beim Einkauf. Kaufte der Mittelständler früher primär über Einkaufskooperationen ein, die auch als Marketingorganisationen fungieren und ihren Mitgliedern standardisierte Sortimentsbausteine anbieten, bezieht er die Ware heute meist vom Hersteller. Dass viele mittelständische Kaufhäuser unterschiedliche Schwerpunkte setzen, belegt den Trend zur Individualisierung.

Weitere mittelständische Erfolgsbeispiele sind laut BBE-Geschäftsführer Stumpf das Kaufhaus Matzen in Bad Schwartau, die Kaufhaus Stolz GmbH in Burg auf Fehmarn, die in ihren 18 Filialen auf ein „sehr preisorientiertes Konzept mit Schwerpunkt auf touristische Lagen an Nord- und Ostsee“ (Stumpf) setzt, oder das Kaufhaus Nessler in Ahrensburg mit einem „hochwertigen, tollen und edlem Konzept“, das laut Stumpf die hohe Kaufkraft im Speckgürtel von Hamburg abgreift.

Fazit: Die Chance der Vertriebsform Kauf- und Warenhaus liegt zweifellos in der Anpassung an die regionalen Gegebenheiten. Das würde für eine dezentrale Führungsstruktur sprechen – mit viel Eigenverantwortung für den Geschäftsführer vor Ort.

gi24/HIR, Nr. 43

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