Wo ist der Optimismus geblieben? Scheitert die Marktwirtschaft an der Marktwirtschaft?

Von Werner Rohmert. Noch genau vor einem Jahr war ich optimistisch. Die Finanzkrise war noch eine Finanzkrise. Zwar gingen bereits die volkswirtschaftlichen Wachstumsraten zurück, waren aber im Rahmen einer stabilen realwirtschaftlichen Entwicklung immer noch als zyklische Schwankungen zu interpretieren.

Wir hofften auf ein Softlanding. Gesamtwirtschaftlich sahen wir die Risikopotentiale, konnten sie aber nicht mit Wahrscheinlichkeiten bewerten. Wir beschränkten uns in unserer Prognose auf eine „entweder / oder – Variante“. Wenn man die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Totalcrashs mit vielleicht 5% bewertet, bringt es überhaupt nichts, wenn man eine insgesamt gute Prognose von vielleicht 2% mit einer 5%igen Crash-Wahrscheinlichkeit kombiniert, um dann ein „realistisches“ Wachstum von 1,9% zu prognostizieren.

Außerdem war unsere eigene Einschätzung geteilt. Das Gesamtzahlenwerk der Finanzkrise, an dessen Boden unserer Meinung nach noch nicht einmal gekratzt ist – dies zeigt unser kleines Zahlenfeuerwerk unten (siehe Abb. unten) auf – haben wir nicht gesehen und auch nicht für möglich gehalten. Der Verstand ließ uns bei guter realwirtschaftlicher Ausgangslage auch immobilienwirtschaftlich auf ein Softlanding hoffen. Das „Bauchgefühl“ sprach eher für Crash. Aber wer traut schon seinen Gefühlen? Trotzdem wiesen wir Sie immer auf die Gefahr hin, dass nach unserer Erfahrung auf die Lemminge-Invasion internationaler Investoren auch der göttliche Befehl zum gleichzeitigen Abzug folgen werde. In unserer Konjunktur-Prognose vom letzten Jahr zeigten wir Ihnen ein mögliches Crash-Szenario auf.

Scheitert die Marktwirtschaft an der Marktwirtschaft?

Schon 1990/91 arbeiteten wir, mit Blick auf die neuen Bundesländer heraus, dass die Marktwirtschaft zur Einführung der Marktwirtschaft nicht geeignet sei. Hinsichtlich des gewonnenen Wettbewerbs des westlichen Systems gegen Kommunismus/ Sozialismus äußerte ich bereits in den Konjunkturprognosen 90/91 Störgefühle. Die Welt war ins Ungleichgewicht geraten. Der fehlende Wettbewerb der Systeme führt zur Hybris des Gewinners.

Seit nunmehr einem halben Jahr steht die Welt vor einem Paradigmen- Wechsel. Unser schlimmstes denkbares Crash-Szenario wurde längst rechts überholt. Was seit dem 15. September offengelegt wurde, war für niemanden vorstellbar. Aus einer Finanzwirtschaft war weltweit eine Spielbude geworden.

Die Finanzmarktvolumina machen deutlich, dass eine „Marktwirtschaft ohne Grenzen“ an ihre Grenzen gekommen ist. Selbst wenn die Gesamtvolumina (s. u.) sich irgendwann tatsächlich als Nullsummenspiel in Wohlgefallen auflösen werden, zerstört alleine das mögliche Risiko einzelner Player das Gesamtvertrauen der Teilnehmer untereinander. Der Rede des Bundespräsidenten vor einigen Tagen ist hier wohl wenig hinzuzufügen. Einen überzeugten Marktwirtschaftler und Finanzmarktfachmann über die Notwendigkeit eines Systemwandels sprechen zu hören, lässt ein Schauern über den Rücken gleiten. Allerdings sehen wir die Auslöser weniger alleine in der Berufsgruppe der Banker, sondern im gesamten kulturellen Umfeld.

Auch gesellschaftliche Systeme brauchen Wettbewerb. Demokratie und Marktwirtschaft konkurrierten mit Kommunismus/Sozialismus. Ein solcher Wettbewerb bezieht den Menschen ein. Die Finanzwelt kommt ohne den Menschen aus – befristet. Nach dem Sieg der angelsächsischen Marktwirtschaft schien evident, dass die völlig unregulierte Marktwirtschaft die beste Gesellschaftsform ist. Globalisierung diente zur Entschuldigung für Verlagerungen aller Aktivitäten, die das heimatliche Rechtssystem nicht vorsah. Das Bild des „ordentlichen Kaufmanns“, der sich in seinem moralischen, gesellschaftlichen und rechtlichen Rahmen bewegt, verschwand hinter dem Leitbild des Quartalsbilanz-Managers. Management ersetzt Unternehmertum. Und wie in der Immobilienwirtschaft der Investor in Jahrzehnten, der Projektentwickler und Händler in Jahren und der Makler lediglich in Monaten denkt, verschob sich generell die Fristigkeit des Denkens in der Gesamtwirtschaft.

Die „Vorteile“ der Angestellten/ Manager-Kultur: Kein Risiko, höhere Handlungsfreiheit, garantierte Fehlerfreiheit

Die Kultur des Angestellten bzw. des angestellten Managers – auch Vorstand genannt – dominiert in der modernen Marktwirtschaft. Konzerne werden größer als Staaten. Banken haben größere Bilanzsummen als die Heimatländer Sozialprodukte. Das macht die Risiken der Konzern-Managementstrukturen deutlich. Und mit Gier getunten Private Equity Strategien erhält die Angestellten-Kultur Turbo-Power. Ein Angestellter schwimmt niemals gegen den Strom. Ein Angestellter tut, was Analysten von ihm verlangen. Ein Angestellter hat die Aufgabe, seine Quartale optimal über die Runden zu bringen. Ein Angestellter denkt persönlich lediglich soweit voraus, wie es nötig ist, um mit hinreichender Wahrscheinlichkeit frühzeitig eine neue Position einzunehmen, bei der ihn etwaige Fehler nicht mehr so schnell einholen können. Es ist auch nicht Aufgabe eines Angestellten, Wendepunkte vorauszusehen – es sei denn, dies führt zu neuer Gewinnchance.

Aber das verhindert die Volumens-Maximierung moderner Finanzinstrumente. Wenn es droht schiefzugehen, ist es für eine Wende sowieso zu spät. Dann hilft nur noch, das Rad schneller zu drehen und bis zur letzten Minute zu hoffen und zu kassieren. Das ist menschlich unvermeidbar. Außerdem hat der Angestellte mit seiner persönlichen Einkommensmaximierung seinerseits auf Grund der unterstellten Zielidentität auch immer „das Beste“ für das Unternehmen getan. Shareholder Value bemisst sich nun einmal in Börsenkursen. Und der Angestellte trägt niemals Verantwortung oder Schuld. Alle Entscheidungen werden durch Gutachten oder Usancen unterlegt. Fehler macht der Markt. Wer in der Immobilienwirtschaft z. B. eine bekannte Trophy- Immobilie zum höchsten Preis einkauft und dies durch Mitarbeiter und Gutachten hinreichend überprüfen lässt, macht niemals einen Fehler. Nur der Markt reagiert anders als begutachtet. Und außerdem hat der Angestellte ja niemals etwas anderes gemacht, als das, was alle gemacht haben, was alle Analysten wollten und was alle Rating-Agenturen für gut befanden.

Ohne persönliche Haftung eines Unternehmers auch für Marktentwicklungen braucht das Marktänderungsrisiko von einem Angestellten nicht kalkuliert zu werden. Das ermöglicht Handlungsfreiheiten, die ein Unternehmer nie hätte. In guten Phasen siegt damit immer die Managerkultur über die Unternehmerkultur. In schlechten Phasen auch; denn die Risiken werden sozialisiert, wie uns gerade vor Augen geführt wird.

Und noch eines werden die wenigen realwirtschaftlich Tätigen, die jetzt im Rahmen des konjunkturellen Totalcrashs nicht um ihre eigene Existenz kämpfen müssen, sondern jetzt und vielleicht noch viele Jahre das Geld für die Zeche verdienen müssen, mit zusammengebissenen Zähnen zur Kenntnis nehmen: Die größten Ego- Maximierer der letzten Jahre werden gleichzeitig die größten Gewinner der Erholungsphase sein.

Die Spieler – in der Immobilienwirtschaft sprachen wir längst ohne Hintergedanken von „Playern“ – haben persönlich ihre Scherflein im Trockenen und bereiten jetzt bereits ihr Comeback vor. Denn in Kürze wird es wieder Immobilien mit riesigem Spread geben. Wieder wird es Not leidende Kreditengagements oder auch toxische Papiere zu lächerlichen Konditionen zu kaufen geben und wieder werden die kreativsten Excel- Jongleure und Finanzspiel-Programmierer ganz oben schwimmen.

Risiken der Finanzkrise „erkannt und gebannt“ oder drohen weitere Billionen-Risiken?

Die Zahlen kommen erst langsam auf den Tisch. Rund 863 Billionen US-Dollar (ACHTUNG: Deutsche Billionen: 860.000.000.000.000 Dollar) weltweites Derivate- Volumen, die ja oft nur Wetten auf irgendwelche Entwicklungen darstellen, sind laut BIZ wohl insgesamt noch auf dem Markt. Das entspricht mehr als der 15fachen Weltwirtschaftsleistung. Genau weiß es niemand.

Schauen wir noch mal ein wenig weiter. Ca. 56 Billionen Dollar sind an CDS (Credit Default Swaps) unterwegs, bei denen wieder einmal Marktteilnehmer auf die Bonität anderer Marktteilnehmer wetteten. Auch unter Nullsummenaspekten kann die Risiken kaum jemand abschätzen.

Zurück zur Realwirtschaft: Wachstumsbremse für Dekaden?

Überschlagen Sie doch einfach mal allein die volkswirtschaftliche Bedeutung der Konstruktionskosten und Gebühren, die mit diesem Derivatevolumen verbunden sind. Das hat in der Vergangenheit zu immensem Volkseinkommen geführt. Welche Risiken damit verbunden sind, weiß niemand. Den Gebühren steht auch im Nullsummenspiel sich aufhebender Wetten nichts entgegen. Selbst wenn sich Wetten und Gegenwetten ausgleichen würden, sieht es bei den Spielern auf der falschen Seite der Wette ganz elend aus. Wenn hier Banken zu retten sind, hilft auch kein Lamento zum Nullsummenspiel weiter. Übrigens: 1% Risiko dieses Bereiches ist schon mehr, als alle Staaten zusammen für Konjunkturpakete aufbringen können.

Können Sie sich vorstellen, was es allein für die Wachstumsperspektiven bedeutet, den Finanzsektor wieder auf ein an die Realwirtschaft angepasstes Maß zurück zu schrauben? Daneben wirken die Risiken aus Immobiliengeschäften oder auch aus Kreditkarten eher lächerlich. Und allein die „Subprime-Krise“ mit ihren multiplikativen Verbriefungen hat schon die Kugel ins Rollen gebracht. Bei den Kreditkarten fängt es erst ganz langsam an zu sprudeln. Da dies sowieso der Pferdefuß der privaten Verschuldung in den USA war und vor aktuellem Hintergrund eine Risikoerhöhung unvermeidlich ist, dürfte hier noch ein böses Erwachen kommen.

Rating und „non recourse“-Finanzierung: Unsere Reizthemen

Wir haben Sie oft mit unserer gescholtenen Mindermeinung aus der Quelle des gesunden Menschenverstandes gelangweilt. Wir wollen uns deshalb kurz fassen. Sie können alles nachlesen. Aber natürlich hat die Finanzkrise auch unsere alten Reizthemen Rating und Non recourse -Finanzierung wieder nach oben gespült.

non recourse – Die Folgen modernen real estate bankings: Inzwischen ist klar, dass non recourse -Finanzierung natürlich sowohl Verhalten wie auch Preise beeinflusst. Die einfache Frage, welcher vernünftige Mensch Geschäfte machen/ finanzieren würde, die nur funktionieren, wenn alles gut geht, hat sich niemand gestellt. Non recourse macht’s möglich. Die USA machen non recourse, also auch wir. Wie vorhergesagt lernen Banken jetzt, mit den Folgen zu leben. Non recourse sei in USA schon immer üblich. Haftung würde an der faktischen Risikoposition ja doch nichts ändern.

Die renommierten Investmentbanken als Kreditnehmer würden sowieso nie eine Insolvenz von Investments, die ihren Namen tragen, zulassen. Im übrigen seien die Investments so perfekt aufbereitet, dass sie nicht schief gehen könnten. Diese Argumente wurden oft entgegengehalten. Diese Argumentation gerät natürlich längst in Wanken. Die Folgen sind in den Bankbilanzen übrigens längst noch nicht vermerkt. Gängige Praxis sowohl bei manchen Investmentbanken bzw. ihren Fonds wie auch bei Immobilienaktiengesellschaften ist doch der freundliche Hinweis, die Bank habe doch überhaupt keine Alternative zu einer Prolongation zu auskömmlichen Konditionen, da sie ja sonst Zehntausende von Schlüsseln auf den Tisch bekäme.

Dies wiederum würde nicht nur den Totalzusammenbruch vieler Märkte mit drastischem Wertverfall bedeuten, sondern die Infrastruktur und die Bilanzen der Banken überfordern. Die stoßen in ihren Kapazitäten bereits mit den unvermeidbaren notleidenden Engagements an ihre Grenzen. So ergibt sich faktisch keine andere Wahl – unter der Voraussetzung, dass die Bank überhaupt in der Lage zur Prolongation ist, da sie bei fristenkongruenter Finanzierung natürlich vor einem Refinanzierungsproblem steht. À propos Investment-Banking: Professionalität und non recourse -Finanzierungen haben natürlich noch andere Konsequenzen. Während im „deutschen Mittelalter“ noch der 90er Jahre Kreditnehmer, die ordnungsgemäß ihren Zahlungsverpflichtungen gegenüber der Bank nachkamen, regelmäßig in Ruhe gelassen wurden, führt heute schon das Vertragswerk in eine überflüssige Pleite.

IFRS und Fair Value sorgen für Bewertungsrisiken. Stellen Sie sich einmal vor, was geschehen wäre, wenn 1996 bis 1998 alle Investments in den neuen Bundesländern tagesaktuell bewertet worden wären und die Kreditnehmer aufgefordert worden wären, etwaige Bewertungsverluste zu begleichen. Das Desaster wäre unvorstellbar gewesen.

Genau das geschieht aber aktuell aufgrund der Professionalisierung des Real Estate Investment Banking. Auch Engagements, deren Zahlungsstrom noch funktioniert, können leicht zu notleidenden Investments werden. Bei Unterschreiten von im Vertrag festgelegten Wertgrenzen, müsste der Kreditnehmer regelmäßig Eigenkapital bereit stellen. Woher soll das aber in schwierigen Marktphasen kommen? Um diesen Zusammenhang aufzuzeigen, hätte man sicherlich nicht Betriebswirtschaft oder Volkswirtschaft studieren müssen. Kreditnehmern bleibt auch gar nichts anderes übrig, als sich bei den unvermeidlichen Anfragen an den Kopf zu fassen. Auch die Fonds der renommierten Investmentbanken, stehen derzeit Eigenkapitalnachforderungen, schulterzuckend gegenüber.

Rating mutiert zur Selbstzerstörung: Das Paradoxon der Rating-Hörigkeit wird aktuell immer deutlicher. Es wird klar: Rating führt automatisch in die Spirale. Gerade die Diskussion bei AIG oder HRE macht die Peinlichkeit des intellektuellen Backgrounds deutlich. Beide Institute, die mit dreistelligen Milliardenbeträgen künstlich am Leben erhalten werden müssen, hängen immer noch an der Qualität ihres Ratings. Denn wenn sich ihr Rating verschlechterte, würden sich die Finanzierungskosten erhöhen, was natürlich zu einem weiteren Desaster führen würde.

In der Konsequenz führen also immer noch Unternehmen, die vom Markt längst outgesourct wurden und nur noch per künstlicher Ernährung am Leben gehalten werden, noch erstklassige Ratings. Die Rating-Agenturen „lassen mit sich reden“, diese Ratings zu erhalten, da ein realistisches Rating zum Exitus führen würde, was die Realitätsferne der bestehenden Ratings offen legen würde. Klar!

Zum Glück müssen wir nicht alles verstehen. Schließlich haben wir Ihnen auch oft genug deutlich gemacht, dass das Rating von Kapitalanlagen einfach nicht möglich ist. Allerdings hatten wir das am Beispiel des Ratings geschlossener Fonds erarbeitet. Die Argumente gelten aber auch für alle Kapitalanlagen. Den Beweis für die Richtigkeit unserer Thesen hat die Realität jetzt an anderer Stelle geführt.

Die Immobilie – Ideales Spielfeld für Alpha-Täuscher

Natürlich lässt sich noch eine Vielzahl anderer Kritikpunkte am System der jüngeren Vergangenheit auflegen. Die Begünstigung von Alpha-Täuschern gehört dazu. Das sind meist Investmentmanager, die über ihr eigenes Potential durch geschickte Auswahl von Investments täuschen. Im Ziel von Alpha-Täuschern stehen Kapitalanlagen, die entweder bei extrem hohem Risiko über eine sehr kleine Eintrittswahrscheinlichkeit verfügen oder deren hohe Risiken erst mit Zeitverzögerung virulent werden. In einer meist längeren Erfolgsphase bis zum Verlust seines Kapitals glaubt der Anleger an das Genie des Investmentmanagers.

Die Immobilie ist z. B. ein ausgesprochen geeignetes Alpha-Täuscher-Produkt. Eine Immobilie mit einem guten Mieter ist hierfür ein typisch. Wenn der Mieter während der Mietvertragslaufzeit Pleite geht und die möglichweise noch maßgeschneiderte Immobilie komplett abstürzt, ist der Investmentmanager sicherlich nicht schuld. Wenn der Mieter aber einfach nur nach 10 oder 15 Jahren auszieht und die Immobilie dann abstürzt, ist der Manager zum einen sowieso nicht schuld und zum anderen längst in der dritten neuen Position, bei der es keine Erinnerung mehr an das 10 oder 15 Jahre alte Investment gibt. Schwache Immobilienqualitäten wie „Mietvertrag mit Wetterschutz“ und Verlängerungsabsichten von Mietern, die viel investiert haben, stehen bei uns auf der Warnliste deshalb ganz oben.

Wie geht es in der Immobilienwirtschaft weiter?

Die Antwort weiß niemand. Die Mipim zeigte, wie auch viele unserer heutigen externen Beiträge, einen gesunden Optimismus auf. Die Symptome der aktuellen Krise sind für die Immobilienwirtschaft die gleichen wie in früheren schwierigen Phasen. Es gibt keine neuen Kredite mehr. Alte Kredite werden nur mit Schwierigkeiten prolongiert. Bestandskunden werden bevorzugt. Das ist nun wirklich nichts Neues. Anpassungen sind oft möglich. Die Personalpolitik von Immobiliengesellschaften ist traditionell volatil. International haben bereits erhebliche Anpassungen stattgefunden. Deutschland hat hier noch Nachholbedarf. Auch die Branche der geschlossenen Fonds hat erhebliche personelle Anpassungen durchgeführt. Zu dem Thema haben wir mit Prof. Dr. Hanspeter Gondring gesprochen. (siehe Seite 18) Bei meist nicht langer Betriebszugehörigkeit, sind personelle Maßnahmen für Immobiliengesellschaften, die vom Transaktionsgeschäft leben, recht leicht durchführbar.

Die Arbeit der Bestandshalter ist tendenziell eher konjunkturunabhängig und nimmt in schwierigen konjunkturellen Phasen sogar noch zu. Damit steigt der Personalbedarf sogar. Da der größte Teil immobilienwirtschaftlichen Personals im Bestand gebunden ist, fallen die Asset- Manager, Bewerter, Projektentwickler und Investmentmakler in der Statistik nicht besonders auf.

Insofern war die Stimmung auf der Mipim gut. Für die Immobilienwirtschaft ergibt sich in der aktuellen Krise schließlich nichts Neues. Spätestens nach einem Jahr oder anderthalb Enthaltsamkeit, haben die Banken in der Vergangenheit das Geld wieder mit vollen Händen verteilt. Die Branche geht davon aus, dass das ab Herbst 2010 sicherlich wieder so sein wird. Bis dahin wird es natürlich Marktbereinigungen geben. Aber auch das hat es immer schon gegeben.

Der Blick auf die Zahlen dämpft aber immer allen Optimismus. Auch manche Insiderargumentation ermüdet. Bei dem Absturzzahlenwerk im deutschen Investmentbereich ist zu berücksichtigen, dass die Megadeals des ersten Halbjahres noch aus 2007 stammen oder wie bei Arcandor zu einem noch früheren Konzept gehören. Nimmt man sich dann auch noch minutenlang Zeit und liest die MIPIM-Beilagen, so erfährt man, dass die Märkte im Zeichen der Krise stehen. Dutzende Zitatgeber geben die überraschende Erkenntnis frei, der Markt für Kredite über 50 Mio. Euro sei völlig eingefroren.

Und sogar Vorstände entblöden sich nicht, öffentlich festzustellen, dass sich das Verhältnis der Immobiliengesellschaften zu den Banken geändert hat. Statt Mietern oder Aktionären stünden heute die Banken an erster Stelle der Geschäftspolitik der Immobiliengesellschaften.

Weitere überraschende Erkenntnis großer Researchhäuser ist, dass es in der schlimmsten Wirtschaftskrise der letzten 60 Jahre, die die gesamte entwickelte Welt erstmalig gleichzeitig erwischt hat, zu Notverkäufen kommen wird. Die weltweite Betrachtung überlassen wir lieber den Researchern vor Ort. Klar ist, dass in den traditionell hoch volatilen Märkten auch diesmal die Preise stark abstürzen können.

In den cash flow hörigen USA wurden auch in den Achtziger Jahren unvermietete Flächen oftmals überhaupt nicht eingewertet. Schon in den Achtziger Jahren konnte man auch in guten Lagen von New York erstklassige Immobilien zu einem Bruchteil der Erstellungskosten, weit unter 50%, erwerben. Auch in London war eine Preishalbierung niemals etwas Ungewöhnliches. Wir zeigten Ihnen das schon in unseren frühen Specials Anfang der Neunziger Jahre methodisch auf.

Die Frage drängt sich auf, ob es diesmal so schlimm aussieht, weil die lange internationale Boomphase das Gedächtnis gelöscht hat? Kommt es diesmal überhaupt so schlimm oder hat sich Globalisierung und Internationalisierung und Virtualisierung der Immobilienmärkte auch in der Krise stabilisierend ausgewirkt? Oder kommt es diesmal noch viel schlimmer, da die weltweiten ökonomischen Rahmenbedingungen schlechter sind als wir uns je in der Nachkriegszeit erinnern konnten und die enge internationale Vernetzung und Globalisierung ein weltweites Dominofeld ohne Sicherheitsgräben angelegt hat?

Im Prinzip sind wir durchaus optimistisch, dass die Immobilienkrise schneller vorbeigeht als zum Beispiel in den USA in den Achtziger Jahren. Die finanzgetunten Mechanismen, die uns in die Krise hineingeritten haben, werden uns auch schneller wieder herausreiten. Über die Folgen eines späteren, dann aber unvermeidlichen Crashs wagen wir heute allerdings nicht nachzudenken. Im privaten Gespräch würden wir lediglich dazu raten, einen nicht unerheblichen Teil der Altersvorsorge vorsichtshalber doch lieber in sinnvollen Immobilien anzulegen.

Stößt die Wissenschaft an die Grenzen? Übersehen wird dabei allerdings vielleicht, dass die aktuelle Krankheit – dies haben wir in unserem letzten Editorial für Sie herausgearbeitet – nicht mit den periodischen Grippeanfällen der letzten Dekaden zu vergleichen ist. Die Wissenschaft ist an ihre Grenzen gestoßen.

Nicht nur das Zahlenwerk bringt Negativrekorde der letzten 50 oder 80 Jahre, sondern auch die gesamte Volkswirtschaftslehre muss neu nachdenken. Wir haben in den vergangenen Jahren den Fehler gemacht, dass wir nach wie vor in den Denkstrukturen der klassischen Volkswirtschaftslehre mit komparativen Wettbewerbsvorteilen und dergleichen mehr gedacht haben. Jedes Land möge das herstellen, was am günstigsten könne. Da kann es natürlich leicht produzierende Länder und einfach nur dienstleistende Länder geben. Globalisierung ist die Entschuldigung für alles. Der Mensch interessierte nicht mehr.

Dabei wurde aber immer vergessen, dass die klassische Volkswirtschaftslehre zu grenzüberschreitenden Transaktionen nun einmal auf dem Vorhandensein von Grenzen beruht. Kommunikation und Globalisierung setzten ebenso wie die Mega- Europäisierung viele Grenzen außer Kraft. Damit gilt die Volkswirtschaftslehre nicht mehr. Das ergibt eine neue Aufgabe für die Wissenschaft, die theoretische Basis, den Realitäten anzupassen.

Neuer Konjunktur-Hype, Regelungsbedarf und Paradigmenwechsel – eine schöne, neue Welt

Auf Regen folgt Sonnenschein. Das sagte schon Asterix. Und bedenken Sie eins, je tiefer das aktuelle Konjunkturtal wird, desto steiler wird der anschließende Aufschwung. Das ist allein schon mathematisch unvermeidbar. Wenn Sie jetzt noch bedenken, wie viele Billionen Dollar weltweit in Investitionsprojekte gesteckt werden, die erst mit starker Zeitverzögerung wirksam werden, ist klar, dass der nächste Aufschwung steil sein wird. Wenn Sie dann noch bedenken, wie viele Hundert Milliarden aktuell in die Finanzsysteme gepumpt werden und aufgrund des Abbrechens des Geldschöpfungsprozesses nur eine „1:1“-Verwendung finden oder komplett in der Liquiditätshortung verschwinden, ist offensichtlich, dass hier Billionen darauf warten, dass der Hebel wieder funktioniert. Da es weltweit zum Überleben des Mittelstandes und der Wähler nötig ist, dass die Zinsen auf absehbare Zeit niedrig bleiben, denn alternativ wäre ein Immobiliendesaster zu erwarten, das die aktuelle Katastrophe noch in den Schatten stellt, ist unvermeidlich, dass der nächste Aufschwung auch von dieser Seite noch getunt wird.

Es wird nicht mehr lange dauern, bis auch an guten Standorten wieder Immobilien mit 7,5 oder auch 10% Rendite und stabilem cash flow verfügbar sein werden, die sich dann wieder mit 4-5% oder einem riesigen Hebel finanzieren lassen. Damit ist übrigens schon klar, wer die Gewinner des nächsten Aufschwungs sein werden. Das sind unter anderem die Finanzjongleure, die der Weltwirtschaft den Schubs ins Tal versetzt haben.

Bremsen kann dies nur das Bankensystem. Aber in Bezug auf Lernfähigkeit der Finanzbranche sind wir eher skeptisch. Und an die Verantwortung der Investoren zu appellieren halten wir für müßig. Nach Weihnachten werden sie wissen, dass jedes Kind das Angebot von Schokolade in beliebiger Menge bis zum Stadium auswerfender Übelkeit annimmt.

Die oberste Erkenntnis des Wirtschaftslebens besagt kurz gefasst: Was finanziert wird, wird gemacht. Investmentbanker oder Story-Erzähler mit leeren Aktienmänteln bekommen so als „bessere Immobilienmanager“ Geld in beliebigen Mengen nach- und eingeblasen. Finanzmathematiker und Aktienstrategen dürfen nicht nur Unternehmen filettieren, sondern auch als die besseren Manager mit Milliardenkrediten Automobilkonzerne übernehmen, an denen schon Weltmarktführer gescheitert waren, Armaturenhersteller, Spielwarenhersteller und sonstige mittelständische Traditionsunternehmen durften über Kreditbelastungen zur Finanzierung des Kaufpreises und der Beratungs-Fees ruiniert werden. Shareholder Value sei Dank.

Das Jahr 2009 wird uns mit einem neuen Paradoxon zum Schmunzeln anregen. Banker werden wieder die größten Immobilienbesitzer und der Staat wird wieder größter Banker. In Deutschland wird es nicht ganz so offen zu Tage treten, wie in USA oder England und Ländern, bei denen Verstaatlichung nicht so ein Tabu ist wie bei uns.

Der Witz an der Geschichte ist, dass viele aktuell toxische, verbriefte Werte sich nach Entwirren des Knotens am Ende wohl noch zu 80% oder sogar mehr der derzeit nahezu abgeschriebenen Verbriefungen als werthaltig erweisen werden. Viele Hundert Milliarden Euro, die den Wähler zur politischen Neuorientierung treiben, bleiben so verbales Feuerwerk. Was soll also die Milliarden-Schwadroniererei?

Dabei hat Kanzlerin Merkel in einem Fall geistiger Erleuchtung doch selber deutlich gemacht, „Moral Suasion“ in der Wirtschaft funktioniert. „Die Spareinlagen sind sicher“ hat die Bevölkerung beruhigt und die Gefahr eines Runs gebannt. Dass diese Aussage im Falle eines echten Crashs noch nicht einmal den Stromverbrauch für die Verbreitung der Schallwellen wert ist, hat niemand berücksichtigt.

Was sind heute unsere beiden wichtigsten Probleme: Der Vertrauensverlust im Bankensystem und – sicherlich mit Wechselwirkung – das Konjunkturproblem. Das Konjunkturproblem wird lästig und unvermeidbar. Mit Blick auf die Basis der deutschen Volkswirtschaft ist es durchaus wahrscheinlich, dass wir am Ende zu den Gewinnern gehören werden. Also bleibt vorrangig das Problem des Vertrauensverlustes der Banken zu lösen. Da sowieso kein Staat mehr zulassen kann, dass einer der weltweiten „systemischen“ Player der Finanzbranche, egal ob Bank oder Versicherung, die Löffel abgibt, könnte man das eigentlich auch zugeben.

Warum wird nicht einfach garantiert, dass alle Kredite an deutsche Banken unter Einhaltung bestimmter Voraussetzungen, staatlich garantiert sind. Über Befristungen, Verlängerungen oder langsames prozentuales Abschmelzen der Garantien lässt sich dann zu gegebener Zeit im Rahmen eines wieder funktionierenden Systems wieder sprechen. Eine solche Garantie verhindert auch nicht, dass einzelne Institute den Weg der Marktwirtschaft gehen. Die Neusortierung des Landesbankensystems ist unvermeidlich. Und ob der Gerechtigkeitssinn des Wählers zulassen wird, dass eine Hypo Real Estate/Depfa, die das System an den Rand des Crashs brachten, im nächsten Aufschwung, sich als Gewinner der Krise profilieren dürfen, ist sicherlich ungewiss. Solche Sicherstellung ist vor allem deshalb nötig, da immer noch nicht klar ist, welche Risiken aus spekulativen Altgeschäften noch auf die Banken zukommen.

Konjunkturprognose zum Selbermachen

Viel schlimmer ist aber, dass die natürlichen Konsequenzen einer Rezession ja überhaupt noch nicht im Bankensystem angekommen sind. Krisenbedingte Unternehmenspleiten gibt es erst in den letzten Wochen. Investitionsgüter werden unter der weltweiten Rezession leiden. Ein Einbruch des Exports um 15% scheint realistisch. Das sind – am Rande bemerkt – ca. 7% des BIP. Dieser Einbruch wird statistisch zwar durch geringere Importe gemildert, trifft aber Exporteure ins Mark. Viele Auftragsbücher haben sich halbiert. Aus langfristiger Planungssicherheit wird kurzfristige Huddelei. Preis- und Margenwirkungen sind evident. Bei 30-50% Umsatzeinbrüchen in manchen Bereichen lässt sich die maximale Überlebensdauer vieler Unternehmen auch ohne Excel leicht überschlagen.

Machen Sie sich doch einmal den Spass und machen Sie Ihre eigene Konjunkturprognose. Schreiben Sie einfach Ihre Änderungsvorstellungen neben die Tabelle und gewichten Sie sie mit den daneben stehenden Faktoren. Aus minus 2% für den Konsum werden 0,563*minus 2% = minus 1,126% für das BIP. Aus minus 15% beim Export werden minus ca. 7% beim BIP und unter Berücksichtigung der Importe, die ja entsprechend nachgeben, auch minus 2% beim BIP. Wenn Sie jetzt noch einen Absturz bei den Investitionen, schwache Entwicklung beim Bau, aber zunehmende Staatsausgaben berücksichtigen, sind weder realistische Werte noch Worst case Betrachtungen wirklich spaßig. Egal was Ihnen über Homing und Konsum erzählt wird, ist doch klar, dass langlebige private Investitionen zum Beispiel in Autos oder Möbel bei zunehmender Arbeitsplatzverunsicherung auch einmal um ein Jahr oder zwei heraus geschoben werden können. Im Moment profitiert der Konsum noch von hohen Lohnsteigerungen, gesenkten Energiekosten und dem sozialen Netz, dass auch bei Arbeitslosigkeit Konsumfähigkeit sicherstellt. Aber warum der Konsum in der schweren Krise unbeeinflusst bleiben sollte, ist schleierhaft.

Selbst wenn vieles nicht so schlimm kommt, wie oft befürchtet, ist aber klar, dass die eigentlichen Blessuren des Bankensystems durch Konjunkturwirkungen überhaupt noch nicht aufgetreten sind. Das kommt alles noch, Insider wissen das. Was noch nicht klar ist, ist wer, wie hart getroffen wird. Nicht nur die eigene Angst führt zum Horten von Liquidität. In der nächsten Story über die dümmste Bank Deutschlands, die an eine andere Pleitebank Geld überwiesen hat, möchte kein Institut der nächste Depp sein. Ohne staatliche Garantien zögert sich der Finanzprozess des Systems immer weiter heraus mit immer schwereren Konsequenzen. Natürlich muss sich das Bankensystem auch das Vertrauen zurück verdienen. Als erstes gehören alle Geschäfte und Risiken in das Berichtswesen.

gi24/uk, DIB, Nr. 188

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